Der 300 SL

Mit den Helden der Kindheit ist das so eine Sache. Sie leiden oft an dem unangenehmen, aber nicht zu vermeidenden Effekt, dass sie älter werden. Full-HD ist da ne ganz miese Nummer, wenn es darum geht, die Falten in der Visage zu kaschieren und damit werden die Helden und Heldinnen der Jugend plötzlich zu Figuren und Objekten mit einem Ablaufdatum. Und damit möchte bzw. sollte man Ihnen einfach nicht mehr zu nahe kommen, will man einer Enttäuschung vorbeugen. Ich hätte zumindest beim ersten mal auf mich selber hören sollen...

 

Vor ca. 3 Jahren…

wurde ich eingeladen, eben einer jener meiner Helden der Jugend persönlich kennenzulernen. Ich kannte ihn bis dahin nur im Massstab 1:18 und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich vor einigen Jahren in einem Anfall von Erwachsen-Sein-Wollens in einen Müllsack gesteckt und entsorgt habe. Ihm fehlte eine Radkappe und einer seiner Flügel hatte ich ihm wohl mal abgerissen. Und ich hatte ihn mal als Vorpubertierender in weiss-matt umlackiert. Ich war nicht immer nett zu ihm.

 

Tja, und er war verdienterweise auch nicht nett zu mir. Am ersten Tag unseres Kennenlernens war mein Ritter in seiner glänzenden Rüstung meiner Anwesenheit nicht so günstig. Ob es das Alter war oder weil er schon seit drei Monaten nicht bewegt wurde, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Vielleicht war er aber einfach nur etwas sauer über meinen Umgang mit seinem Pendant für die Vitrine. "Karma’s a bi1$#.". Auf jeden Fall liess er sich einfach nicht mehr starten. Enttäuschung machte sich breit, man sieht Helden einfach nicht gerne stolpern oder am Stecken geh’n. Wir fuhren unverrichteter Dinge wieder nach Hause, dieses verdammte Schwert steckte immer noch in dem dämlichen Stein und ich wurde an diesem Nachmittag nicht zum Ritter des vergessenen Spielzeugautos geschlagen.

Ein paar Wochen später…

kam dann eine Nachricht der kurzen Form; Benzinpumpe und Einspritzung sei gereinigt und er fährt. Ein Beweisfoto liess mich kurz, aber heftig ausatmen. Soll ich diesen Wagen wirklich wagen? Nachdem wir ja einen nicht wirklich perfekten Start hatten? Ja komm los, Spiegelreflex durchgecheckt, Stativ und den Kamerakran eingepackt nur um dann festzustellen, dass der Kofferraum des 300SL voll mit Reserverad ist und nicht mal mehr ein Kulturbeutel Platz finden würde. Egal, ich würde hoffentlich auch aus der freien, evtl. etwas zittrigen Hand heraus ein paar brauchbare Bilder schiessen können.

Er läuft!

Der ältere Herr im silbernen Zwirn war zwar noch etwas verpennt an diesem wunderschönen Herbstnachmittag, aber nach ein paar entspannten Umdrehungen der Kurbelwelle waren dann auch alle sechs Zylinder am Start für eine jener Fahrten, welche keinen anderen Zweck hatten als eben das reine Fahren ohne eigentliches Ziel. Und ich lernte auch gleich, wie man sich in so einen 300 SL hineinlümmelt, ohne sich allzu sehr zu blamieren.

 

Vor dem Fahren kommt aber noch das Tanken, der alte Benz hat nämlich die Trinksitten eines Keith Richards'. Während sich der 130 Liter grosse Tank langsam, aber stetig volllaufen liess, konnte ich meinen Blick etwas entspannter durch den kompakten Innenraum schweifen lassen als noch bei unserer ersten Begegnung.

Innere Werte

Zweifellos, dieser 300 SL wurde restauriert. Und dies in einer Qualität, welche so ziemlich jeden voll ausgestatteten Neuwagen der heutigen Zeit wie eine lieblos zusammengeklempnerte Seifenkiste daherkommen lässt.

 

Eine kleine Anekdote zur Innenraumergonomie; ich habe noch nie von einer Beifahrerhupe gehört. Jetzt kenn ich eine und ich hab’ sie auch gedrückt. Mehrmals. Jawoll!

Die Wiederherstellung von solchen Autos ist zweifellos eine bemerkenswerte Kunst, angefangen bei der Karosserie über die Technik und den Innenraum. Und dieser Innenraum wird zumindest für mich als Massstab gelten müssen, wenn sich andere Fahrzeuge mit der Handwerkskunst an diesem Flügeltürer messen wollen. Auch wenn ein direkter Vergleich etwas hinken mag, Scheuni war ja schon eine absolute Augenweide und ein Meisterwerk seiner Erbauer, aber dieser 300SL hat da nochmal eine Schippe nachgelegt. Der eine perfekt in seiner morbiden Schönheit, der andere perfekt, Punkt.

Fahren!

Doch, wir haben uns ja nicht alle hier versammelt, um das Auto vollzutanken und danach wieder in seine warme und trockene Kemenate zu stellen. Ne, wir wollen diesen (damals) 62 Jahre alten Haudegen auch seiner Herkunft entsprechend bewegen. Uns seine Herkunft war damals im Motorsport, der Ur-SL war in seiner ersten Evolutionsstufe tatsächlich ein reiner Rennwagen.  Because: Racecar.

 

So manchem wird es nun etwas unwohl werden, wenn man daran denkt, dieses fahrbare Kunstwerk "sportlich" zu bewegen. Es könnte ja etwas kaputt gehen? Was, wenn ein Stein in die vermutlich unbezahlbare Frontscheibe fliegt? Was, wenn der Motor anfängt zu kochen? Ich kann schon nachvollziehen, dass man so ein Auto am liebsten nur mit Samthandschuhen anfassen möchte. Doch irgendwie wäre dies eine Beleidigung an jene, die das Auto entwickelt und gebaut haben. Und sie haben den 300 SL gut gebaut, er ist nicht das filigrane Kunstwerk, welches man hinter den geltenden Versicherungsauflagen vermuten müsste.

 

Dieser Benz ist nämlich eine Burg von einem Benz. Trotzdem, dass der drei Liter grosse und 215PS starke Reihensechser den Berg hoch ordentlich was leisten muss, ringt ihm dies nicht mal ein müdes Lächeln ab. Öl- und Wassertemperatur ist tendenziell immer etwas zu kühl, was für eine grosszügige Dimensionierung des Kühlkreislaufs steht. Und für zwölf Liter Öl, welches sich im Innern des Motors überall dort verteilt, wo's wie geschmiert laufen soll.

 

Wie geschmiert

Genau so läuft dieser Zeitzeuge der 50er Jahre. Wirklich, ganz ohne Zweifel, auch wenn unterhalb von 4000 Umdrehungen die Klangkulisse eher an einen alten 280SE erinnert, oberhalb dieser Drehzahlgrenze brüllt dieses Auto den Klang der Rennsportszene der 50er Jahre aus voller Brust in die bunten Herbstwälder hinein. Und jeder Schaltvorgang wird quittiert von einem röchelnden, kratzigen Husten, so wie es wohl auch von einem Gauloises ohne Filter rauchenden Typen in einer Tanzbar der 50er gekommen wäre.

Dynamik

Dabei ist der Vortrieb für heutige Verhältnisse vielleicht etwas verhalten, aber dennoch mehr als ausreichend. Dass dies vor über 60 Jahren ein Supersportwagen der heutigen Aventadorklasse war, glaub ich vom Fleck weg. Er mag es, wenn aus Kurven raus Zug auf der Hinterachse ist, dann kann es schon passieren, dass er seinen knuffigen Hintern etwas aus der Strassenführung rausstellt.

 

Bemerkenswert auch, wie es der Hersteller schon vor über 60 Jahren geschafft hat, einem Rennwagen den noblen Charakter eines Gran Turismos anzuerziehen, ohne die sportlichen Gene komplett in Vergessenheit geraten zu lassen. Und das alles ohne Klappenauspuff, adaptiven Dämpfern oder trickreichen Lenksystemen. Business in the front, party in the back.

Im Stand

Der 300SL gilt in der nach Benzin duftenden Welt der Petrolheads als Inbegriff eines schönen Autos, nur wenige würden da widersprechen wollen. Natürlich liegt Schönheit immer im Auge des Betrachters, aber es gibt Dinge, die sind so indiskutabel perfekt wie Nutella auf Butterzopf. Oder für manche French-Dressing auf Pizza.

 

Wäre ich ein Kunstkenner, würde ich nun schwadronieren über die perfekten Proportionen, das Verhältnis von Motorhaube und dem Rest des Autos. Die breiten Schultern, welche nahtlos im makellos runden Heck versinken. Und dieses ikonische Erscheinungsbild, wenn die Flügeltüren geöffnet sind. Bla. Bla.

 

Ich bin aber kein Kunstkenner. Die Form des Autos ist wie sie ist, für mich perfekt und makellos. Und wie es mit so Perfektion ist, manchmal wird sie durch ein kleines Detail erreicht. Für mich persönlich sind das; Die Radkappen.

Schönste Radkappen evar. Warum? Naja, warum kippen sich manche Leute Frenchdressing auf die Pizza? Genau, deswegen.

 

Wie man vielleicht bemerkt, ich durfte ein wenig Zeit mit dem Flügeltürer verbringen. Wir waren nie wirklich alleine und es scheint irgendwie nicht weniger als logisch, dass dieses Auto die Leute anzieht wie der Honig die Bienen.

 

Auch so manch komische Reaktion ist mit so einem Auto zu beobachten. Leute, welche dermassen damit beschäftigt sind, das Auto im Innenspiegel zu betrachten, dass ihnen der rechte Fuss einschläft und sie mit 35 km/h über die Landstrasse eiern. Leute, deren Blick beim Vorbeifahren (mit ihrem ziemlich geilen M3 der ersten Generation) dermassen an den SL gefesselt ist, dass sie fast in den Wald hineinfahren.

Ja, der SL fesselt!

Und fesseln tut der 300SL auch ganz ohne Spoiler, Flaps und Winglets. Klar, die gab's damals auch noch nicht bzw. man hat sie nicht als Superlativ für den Sportwagen missbraucht; Mehr Spoiler gleich schneller. Das Auto schmeichelt dem Auge wie ein Stück nasse Seife der Hand. Ich hätte dieses Auto noch stundenlang in diesem wunderbar bunten Waldstück fotografieren können.

 

Grobe Kanten waren in den 50er Jahren sowieso nur bei ganz wenigen Designs zu verzeichnen. Stattdessen finden sich aber zwei alte Bekannte, konkret sitzen sie auf der langen Haube und werden Powerdomes genannt. Heut kommt kein AMG aus der Halle gerollt, ohne diese beiden Hubbel auf der Haube. Abgesehen von den A45. Danke für diesen designtechnischen Verzicht. Den CLA nehm' ich euch aber ab heute endgültig übel.

Ich hatte mich an diesem märchenhaften Nachmittag mal kurz gefragt, wie denn dieses Auto innerhalb meines Hobbys hier noch zu toppen wäre. Was kommt denn als nächstes? Ein *** ? Mein Gott, habe ich den vielbesagten Zenit nun überschritten und alles was jetzt kommt ist nur noch lauwarmer Pippifax?

 

Zum meinem Glück konnte ich zu mir selber sagen: Nö. Der 300SL ist kein Grund, in eine automobile Postdepression zu verfallen. Ich hab’ ja noch ein paar massstabsgetreue Helden auf meinem Kinderbettbett in Erinnerung, welche sich für mich jetzt grad noch in unendlicher Ferne befinden, aber vielleicht irgendwann mal zu mir herrücken. Diese mögen vielleicht nicht die Ästhetik eines Flügeltürer-SL's besitzen, aber sie sind unter Umständen einfach lauter. Brachialer. Einfacher. Roher. Bunter. Kaputter. Lustiger. Und unbekannter. Ich freu mich drauf.

Ein Dankeswort

Ich möchte mich auch hier nochmal dafür bedanken, dass man mir diese Gelegenheit vor einigen Jahren einfach so, ohne weitere Erwartungshaltung, geboten hat. Nicht zuletzt deswegen reifte in mir und meinen Geschäftspartnern der Gedanke, dass nichts unmöglich ist und damit wurde auch durchaus ein Pfeiler dieses Unternehmens gefestigt, no Limits, keine Hemmschwellen. Die Erkenntnis, dass man durchaus nach den Sternen greifen kann, ohne gleich Raketenwissenschaft zu betreiben. Und dass Leidenschaft zweifellos eine Herzenssache ist, ohne dass der Kopf etwas zu melden hätte. Damit; danke für diesen Tag mit dem 300SL, es war schön, wieder acht Jahre alt zu sein. Hat süchtig gemacht.

Text und Bilder: Markus

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